1. Einleitung

Künstliche Intelligenz ist längst nicht mehr nur ein Thema für Zukunftsvisionen – sie ist bereits fester Bestandteil unseres Alltags. Besonders in der Bildung stellt sich die Frage: Wie gut sind Lehrkräfte auf diese Entwicklung vorbereitet? Der Artikel „Umfrage: Lehrkräfte fühlen sich unsicher im Umgang mit KI“ auf heise.de zeigt: Die Antwort fällt ernüchternd aus.
Demnach fühlt sich ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland unsicher im Umgang mit KI-Tools wie ChatGPT. Viele nutzen diese nur selten oder gar nicht und äußern Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf das Lernen, die Kommunikation und das Denken der Schüler:innen. Die Zahlen stammen aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der Robert Bosch Stiftung.
Dieser Kommentar beleuchtet die Ergebnisse kritisch, fragt nach Ursachen und Verantwortlichkeiten – und plädiert für einen konstruktiven, bildungspolitisch durchdachten Umgang mit KI in der Schule.
2. Die Ergebnisse im Überblick

Der Heise-Artikel stützt sich auf das Deutsche Schulbarometer der Robert-Bosch-Stiftung, befragt durch Forsa, und zeigt ein eindeutiges Bild:
- 62 % der befragten Lehrkräfte fühlen sich im Umgang mit KI‑Tools wie ChatGPT „eher unsicher bis sehr unsicher“ – ein klarer Hinweis auf tiefsitzende Verunsicherung (Heise/dpa).
- Mehr als die Hälfte nutzt KI seltener als einmal im Monat – knapp ein Drittel verwendet sie überhaupt nicht im Unterricht (Heise/dpa).
- 62 % der Nutzer:innen befürchten negative Folgen für die sozialen und kommunikativen Fähigkeiten ihrer Schüler:innen; 60 % äußern Sorge um das kritische Denkvermögen (RND).
Darüber hinaus sehen 65 % der Lehrkräfte ein Potenzial für individualisiertes Lernen, wenn KI gezielt eingesetzt wird (IDW/Bosch-Stiftung).
🧭 Kontext: Methodik & Rahmen
- Zeitpunkt der Befragung: 11. November bis 2. Dezember 2024
- Befragt wurden 1.540 Lehrkräfte an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen, repräsentativ ausgewählt
- Fehlertoleranz liegt bei ± 3 Prozentpunkten
Diese Zahlen zeichnen ein ambivalentes Bild: Einerseits herrscht bei vielen Lehrkräften deutliche Unsicherheit im Umgang mit KI, andererseits wird Chancenpotenzial erkannt. Dies wirft wichtige Fragen auf: Woher kommt die Verunsicherung und was muss sich ändern, damit Schule Schritt halten kann?
3. Erste kritische Reflexion

Die Umfrageergebnisse werfen eine zentrale Frage auf: Ist es angesichts der rasanten technologischen Entwicklung und der zunehmenden KI-Nutzung durch Schüler:innen überhaupt noch vertretbar, dass sich ein Großteil der Lehrkräfte vom Thema abkoppelt? Oder sind sie schlichtweg von den Rahmenbedingungen im Stich gelassen worden?
Die Diskrepanz zwischen dem digitalen Alltag vieler Jugendlicher und der Realität im Klassenzimmer wird zunehmend sichtbar. Während Schülerinnen und Schüler längst mit ChatGPT, YouTube-Algorithmen und KI-gestützten Lernhilfen agieren, herrscht auf Lehrerseite oft Zurückhaltung – nicht aus Ignoranz, sondern aus Unsicherheit.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Solche Brüche sind nicht neu. Als der Overhead-Projektor in den 1980er- und 1990er-Jahren Einzug in den Unterricht hielt, war die Skepsis ebenfalls groß. Doch mit der Zeit wurde er nicht nur akzeptiert, sondern ein selbstverständliches Werkzeug im Schulalltag (Beltz Pädagogik).
Die Parallele ist offensichtlich: Neue Technologien brauchen Zeit, Begleitung und pädagogische Integration. Doch diese Prozesse müssen aktiv gestaltet werden – sie geschehen nicht von allein. Wer Lehrkräfte allein mit der technischen Komplexität lässt, fördert nicht Innovation, sondern Überforderung.
Kurzum: Die Verunsicherung ist real – aber sie ist erklärbar. Und vor allem: Sie ist überwindbar.
4. Risiken-Fokussierung versus Chancen-Blindheit

Der Heise-Artikel spiegelt vor allem die Ängste vieler Lehrkräfte wider – vor Kontrollverlust, Leistungsabfall und dem Verlust klassischer Kompetenzen. Doch dabei geht oft unter, welche Chancen ein reflektierter KI-Einsatz im Unterricht eröffnen könnte.
Perspektiven aus der Praxis
Der Lehrer und Bildungsinfluencer Bob Blume argumentiert in der Bild-Zeitung, dass KI nicht ignoriert, sondern pädagogisch eingebettet werden sollte.
„Entweder man verwendet KI mit den Schülern zusammen oder sie verwenden es alleine.“
Sein Appell: Lehrkräfte sollten Schüler:innen den reflektierten Umgang mit KI beibringen, statt das Thema zu meiden (Bild.de – Interview mit Bob Blume).
Studienlage zum Potenzial
Mehrere Studien zeigen, dass KI durchaus bildungsförderlich wirken kann:
- Individuelles Feedback: Tools wie KI-gestützte Textanalyse können gezielt Rückmeldungen auf Schreibprozesse geben.
- Entlastung für Lehrkräfte: KI kann bei der Korrektur, Differenzierung und Materialerstellung unterstützen – Freiräume für Beziehungsarbeit entstehen.
- Eine Analyse des Bundesbildungsministeriums hebt hervor, dass KI dann besonders wirksam ist, wenn sie adaptiv, begleitend und pädagogisch kontextualisiert eingesetzt wird (BMBF – KI in der Bildung).
Auch das Deutsche Schulportal berichtet regelmäßig über innovative Schulprojekte, in denen KI etwa für formative Leistungsrückmeldungen oder zur Lernstandserhebung eingesetzt wird (Schulportal – KI in der Praxis).
Fazit: Wer nur auf Risiken schaut, übersieht die pädagogischen Möglichkeiten. KI kann eine sinnvolle Unterstützung sein – wenn Lehrkräfte begleitet, Tools qualitätsgesichert und ethische Leitplanken gesetzt werden. Die Voraussetzung dafür ist: mehr Mut zum Gestalten, weniger Angst vor Veränderung.
5. Qualität von KI‑Hilfsmitteln in der Schule

In der Diskussion um KI im Unterricht wird oft angenommen, dass digitale Tools automatisch zu Entlastung führen. Doch ein genauer Blick auf konkrete Anwendungen wie die „KI-Korrekturhilfe“ des Anbieters Fobizz zeigt: Der Nutzen steht und fällt mit der Qualität – und mit der Fähigkeit, sie sinnvoll einzuordnen.
🚨 Kritik an automatisierter Korrektur
In einem vielbeachteten Artikel auf heise.de wurde die Fobizz-Korrekturhilfe auf den Prüfstand gestellt:
- Ein und derselbe Schüleraufsatz wurde unterschiedlich bewertet – von “sehr gut” bis “ungenügend”, je nachdem, wie die Eingabe formuliert war.
- Der Algorithmus übersah sachliche Fehler, erkannte aber Stilmittel falsch oder bewertete logisch korrekte Aussagen als „nicht relevant“.
- Lehrerinnen und Lehrer zeigten sich irritiert – statt Entlastung drohten Fehleinschätzungen im Unterricht (Heise-Test zur Fobizz-KI).
🧠 Wissenschaftliche Einordnung
Der Philosoph und KI-Ethiker Rainer Mühlhoff kritisierte die Fobizz-KI als „methodisch irreführend“:
„Die Bewertungen sind oft nicht nachvollziehbar und simulieren Objektivität, wo keine ist.“
Er warnt vor einem „Glaubwürdigkeitsverlust“ der Lehrkraft, wenn sie KI-Bewertungen unreflektiert übernimmt (Mühlhoff – Stellungnahme zu KI-Bewertung).
Auch der Tagesspiegel kommentierte: Eine KI, die fehlerhaft bewertet, sei nicht nur unbrauchbar – sie gefährde auch die pädagogische Vertrauensbasis (Tagesspiegel – Debatte um KI-Korrektur).
⚖️ Was folgt daraus?
KI kann unterstützen – aber nur, wenn ihre Grenzen bekannt sind. Sie darf nicht zur „Blackbox-Bewertungsmaschine“ werden. Transparenz, Nachvollziehbarkeit und ein kritischer Blick auf Ergebnisse müssen zur Grundbedingung jeder Anwendung gehören.
Fazit: Automatisierte Korrekturtools sind keine Entlastung, wenn sie unzuverlässig arbeiten. Statt blindem Vertrauen braucht es klar definierte Qualitätsstandards – und vor allem die Kompetenz der Lehrkräfte, mit diesen Tools kritisch umzugehen.
6. Aus- und Weiterbildung statt Technik-Debatte

Dass sich viele Lehrkräfte im Umgang mit KI unsicher fühlen, ist kein Zeichen von Technikfeindlichkeit – sondern ein Hinweis auf strukturelle Versäumnisse im Bildungssystem. Der Mangel an gezielter, praxisnaher Fortbildung ist einer der Hauptgründe für die Zurückhaltung.
📉 Fehlende Qualifizierung auf allen Ebenen
Laut dem Deutschen Schulbarometer wünschen sich Lehrkräfte mehr Orientierung, Schulungen und didaktische Beispiele für den KI-Einsatz. Doch systematische Angebote bleiben bislang die Ausnahme. Viele Fortbildungen sind zu technisch, zu theorielastig oder kaum in den Schulalltag integrierbar (Robert Bosch Stiftung – Schulbarometer).
Auch der Bildungsforscher Olaf Köller kritisiert, dass Lehrkräfte „mit dem Thema KI weitgehend allein gelassen“ werden und fordert verbindliche Weiterbildungsangebote – ähnlich wie beim Digitalpakt (FAZ – Interview mit Olaf Köller).
📚 Empfehlungen aus der Politik
Die Enquete-Kommission „Künstliche Intelligenz“ des Bundestags empfahl bereits 2020, dass KI-Kompetenz, Datenschutz und Ethik fester Bestandteil der Lehrerbildung werden sollen – von der Ausbildung über das Referendariat bis zur berufsbegleitenden Fortbildung (Bundestag – Abschlussbericht Enquete-Kommission KI).
Tatsächlich greifen einige Länder diese Empfehlungen bereits auf. In Baden-Württemberg etwa kündigte Ministerpräsident Winfried Kretschmann an, dass KI-Kompetenz in den Klassen 5 bis 11 flächendeckend eingeführt werden soll – verbunden mit Fortbildungsmodulen für das Kollegium (SWR – Bildungsstrategie BW).
🔁 Ein notwendiger Perspektivwechsel
Technik allein ist nie die Lösung – entscheidend ist, ob und wie Menschen sie sinnvoll nutzen können. Deshalb muss der Fokus weniger auf Tools und Plattformen liegen, sondern auf der Befähigung der Lehrkräfte, KI kompetent, kritisch und kreativ im Unterricht einzusetzen.
Fazit: Wer KI in der Schule will, muss zuerst in die Menschen investieren. Ohne fundierte Aus- und Weiterbildung bleibt der Einsatz Stückwerk – mit dem Risiko, gute Ideen durch schlechte Umsetzung zu verspielen.
7. Gesellschaftliche Verantwortung

Die Frage, wie KI in der Schule eingesetzt wird, betrifft nicht nur das Bildungswesen – sondern unsere gesamte Gesellschaft. Denn was heute im Klassenzimmer versäumt wird, kann morgen die demokratische Mündigkeit gefährden. Bildung im digitalen Zeitalter ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
🧭 Bildung als Schlüssel zu digitaler Souveränität
Die Enquete-Kommission “Künstliche Intelligenz” des Bundestags betonte bereits 2020: Wer KI verstehen will, muss sie nicht nur bedienen können, sondern auch in ethische, rechtliche und gesellschaftliche Zusammenhänge einordnen können. Das gelte nicht nur für IT-Fachkräfte, sondern für alle Bürgerinnen und Bürger – und damit vor allem auch für Schüler:innen (BT-Drucksache 19/23700 – Abschlussbericht).
Ziel sei eine „digitale Souveränität“, bei der Menschen souverän und kritisch mit KI-Systemen umgehen können – statt sie unreflektiert zu nutzen oder ihnen ausgeliefert zu sein.
🏫 Schule als Schutzraum – oder als Blackbox?
Schule muss jungen Menschen einen reflektierten Zugang zur digitalen Welt ermöglichen. Dazu gehört auch der kritische Blick auf KI-Systeme:
- Welche Daten werden erhoben?
- Wer entscheidet über algorithmische Bewertungen?
- Welche Werte stecken in Trainingsdaten?
Der Philosoph Rainer Mühlhoff warnt eindringlich davor, KI unreflektiert in die Schule zu integrieren. Er spricht von einer „Technologisierung pädagogischer Urteile“ und mahnt: Ohne ethische Leitplanken droht ein schleichender Kontrollverlust über Bildungsprozesse (Mühlhoff – Digitale Entmündigung).
🛡️ Verantwortung beginnt bei der Bildungspolitik
Wenn Bildungspolitik sich ihrer Verantwortung stellt, bedeutet das:
- klare ethische Standards für den KI-Einsatz,
- transparente Tools und Datenverarbeitung,
- verbindliche Fortbildung und Aufklärung für Lehrkräfte,
- und eine Kultur des Hinterfragens, nicht des Automatisierens.
Fazit: Die Einführung von KI in der Schule ist kein reines Technikprojekt – sie ist ein politisches, gesellschaftliches und demokratisches Projekt. Wenn wir Schülerinnen und Schüler wirklich auf die Zukunft vorbereiten wollen, müssen wir ihnen das Werkzeug geben, diese Zukunft aktiv mitzugestalten – und das beginnt mit Bildung, die nicht nur effizient, sondern auch verantwortungsvoll ist.
8. Fazit & Empfehlungen

Die Umfrageergebnisse, die der Heise-Artikel dokumentiert, zeigen deutlich: Lehrkräfte fühlen sich im Umgang mit KI-Tools oft überfordert und allein gelassen. Doch statt in dieser Diagnose zu verharren, braucht es jetzt einen klaren Kurswechsel – hin zu einer Bildungspolitik, die Chancen nutzt, Risiken reflektiert und Verantwortung übernimmt.
🔍 Zusammenfassung der Kernprobleme
- Die Unsicherheit vieler Lehrkräfte ist real – sie entsteht nicht aus Technikfeindlichkeit, sondern aus fehlender Unterstützung.
- Der öffentliche Diskurs ist zu einseitig auf Gefahren und Kontrollverlust fixiert, während das pädagogische Potenzial von KI zu wenig Beachtung findet.
- Tools wie die Fobizz-Korrekturhilfe zeigen exemplarisch: Ohne Qualitätskontrolle und didaktische Einbettung entstehen mehr Probleme als Lösungen (Heise-Testbericht zur Fobizz-KI).
- Gleichzeitig verdeutlichen Bildungsstrategien wie in Baden-Württemberg, dass gezielte Fortbildung und curriculare Integration möglich und notwendig sind (SWR – Kretschmann zur KI in Schulen).
- Die Enquete-Kommission des Bundestags hat längst die Richtung gewiesen: Bildung für digitale Mündigkeit muss ethisch, rechtlich und praktisch fundiert sein (BT-Drucksache 19/23700 – KI-Kommission).
✅ Handlungsempfehlungen
- Verpflichtende Fortbildungsoffensiven
Lehrkräfte brauchen niederschwellige, praxisnahe Qualifizierung zum Einsatz von KI – über alle Fächer hinweg. - Curriculare Integration von KI-Kompetenz
KI darf kein Randthema bleiben. Schüler:innen brauchen strukturierten Zugang zu digitalen, ethischen und medienkritischen Kompetenzen. - Qualitätsstandards und transparente Tools
Der Markt für KI-Anwendungen im Bildungsbereich muss reguliert werden. Transparenz, Datenschutz und didaktische Qualität müssen zentrale Kriterien sein.
💡 Schlussgedanke
KI ist kein Selbstzweck – sondern ein Werkzeug. Ob es das Bildungssystem stärkt oder schwächt, hängt nicht von der Technik ab, sondern davon, wie wir sie einsetzen. Wenn wir Lehrkräfte befähigen, Schüler:innen einbinden und Politik in die Verantwortung nehmen, kann KI ein Motor für bessere Bildung sein – nicht deren Bedrohung.
📣 Diskutiert mit:
Wie erleben Lehrkräfte an eurer Schule den Umgang mit KI? Was braucht es, damit digitale Bildung nicht nur möglich, sondern gut wird?