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I. Das Haus

Das Haus stand oberhalb des Tals.
Nicht auf einem Hügel. Darüber.
Architekten hatten es so gewollt. Überlegenheit lässt sich berechnen.

Beton, Glas, Stahl. Keine Wärme. Keine Erinnerung.
Alles neu. Alles teuer. Alles ersetzbar.

Die Zufahrt war beheizt. Der Schnee schmolz, bevor er liegen durfte.
Unten im Dorf räumten Männer mit roten Händen Gehwege frei.
Hier oben erledigte das Technik.

Drinnen herrschte Weihnachten.
Zumindest hieß es so.

Der Baum war importiert. Skandinavische Herkunft, zertifiziert.
Die Kugeln handgeblasen. Niemand wusste von wem. Es spielte keine Rolle.
Geschenke lagen darunter wie Beweise. Zu viele. Zu groß.

Kalter Luxus-Wohnraum mit modernem Weihnachtsbaum in Designer-Villa
Weihnachten, wenn Wärme überflüssig geworden ist.

Der Vater stand vor der Glasfront.
Er sah nicht hinaus. Er spiegelte sich.
Sein Anzug saß perfekt. Auch jetzt, zu Hause.
Man zieht Rüstungen nicht aus, nur weil Feiertag ist.

Die Mutter bewegte sich durch den Raum wie ein Accessoire.
Jedes Teil an ihr wollte Aufmerksamkeit.
Nichts an ihr wollte Nähe.
Sie redete über eine Spende, die sie gemacht hatte.
Sie nannte keine Summe. Das wäre unanständig gewesen.
Die Summe war unanständig.

Der Sohn lag halb auf dem Sofa.
Schuhe an. Marken sichtbar.
Seine Finger glitten über das Display.
Nachrichten von Leuten, die ihn mochten, weil sie mussten.
Er lächelte nicht. Zufriedenheit braucht kein Gesicht.

Das Mädchen saß abseits.
Sie beobachtete.
Sie wusste, wer hier schwach war.
Sie wusste auch, dass Schwäche ein Rohstoff ist.

Reiche Familie emotional distanziert in moderner Villa an Weihnachten
Vier Körper. Kein Zusammenhang.

Keiner hörte den Wind.
Die Fenster waren dafür gebaut, ihn auszusperren.

Die Angestellten hatten frei.
Man wollte unter sich sein.
Weihnachten ist privat, wenn man es sich leisten kann.

Draußen näherte sich jemand dem Grundstück.
Nicht über die Straße.
Nicht sichtbar.

Die Alarmanlage blieb stumm.
Sie war auf Menschen eingestellt.

Das Haus wusste noch nicht, dass es sterben würde.
Aber die Statik begann bereits zu rechnen.

II. Die Geschenke

Rotes Geschenkpaket ohne Fußspuren vor moderner Luxusvilla im Schnee
Ein Geschenk ohne Absender. Und ohne Absicht zu gefallen.

Es klingelte.

Nicht an der Tür.
An einer kleinen Konsole in der Wand. Ein Ton, der nicht bittet, sondern meldet.

Der Vater drehte den Kopf nur halb.
Er hasste Geräusche, die nicht von ihm kamen.

„Wer ist das?“ fragte die Mutter.
Ihre Stimme klang wie eine Dekoration.

Der Sohn hob den Blick keine Sekunde lang.
„Irgendwer“, sagte er.
Er hatte ein Talent dafür, Menschen zu einem Hintergrundgeräusch zu machen.

Das Mädchen stand auf.
Nicht aus Hilfsbereitschaft. Aus Neugier.
Sie ging zur Konsole, drückte auf „Kamera“.

Auf dem Bildschirm erschien kein Gesicht.

Nur ein Paket.
Groß. Sauber verpackt.
Dunkelrotes Papier. Grobe Schleife.
Als hätte jemand Geschmack gekauft und dann falsch eingesetzt.

Das Paket stand auf dem Podest vor der Tür.
Allein.
Ohne Fußspuren im Schnee.

„Das ist…“ begann die Mutter.
Sie mochte Dinge, die ankündigten, dass sie gleich größer sein darf.

Der Vater ging zur Tür.
Nicht schnell. Nicht vorsichtig.
Mit der Sicherheit eines Mannes, der glaubt, dass sich auch Überraschungen kaufen lassen.

Er öffnete.

Kalte Luft kam herein.
Und Stille.

Kein Bote.
Kein Fahrzeug.
Nur dieses Geschenk.

„Wer macht so was?“ sagte der Vater.
Er meinte nicht „wer ist so freundlich“.
Er meinte: „wer wagt es, in meine Ordnung zu greifen“.

Der Sohn stand jetzt doch auf.
Nicht wegen der Situation.
Wegen des Pakets.

„Vielleicht irgendeine Marke“, sagte er.
Seine Augen leuchteten kurz.
Er lebte in einem System aus Logos. Alles, was groß war, war verdächtig wertvoll.

Das Mädchen kniete sich neben das Paket.
Sie strich mit dem Finger über das Papier.
Es fühlte sich nicht nach Papier an.
Eher nach etwas, das Papier imitiert.

„Nicht anfassen“, sagte der Vater.
Zu spät.
Er sagte es nicht aus Sorge.
Er sagte es, weil nur er Befehle geben wollte.

Die Mutter lächelte.
„Ein Geschenk für uns“, sagte sie.
Als wäre das selbstverständlich.
Als wäre die Welt ein Lieferdienst mit schlechtem Gewissen.

„Rein damit“, sagte der Vater.

Sie trugen es gemeinsam hinein.
Das Paket war schwer, aber nicht unhandlich.
Es gab nach, als würde innen etwas nachgeben, um ihnen entgegenzukommen.

Sie stellten es unter den Baum.
Zwischen die anderen Pakete.
Es passte nicht.
Es war zu ernst.

„Ist da eine Karte?“ fragte die Mutter.

Das Mädchen fand sie zuerst.
Ein kleines Schild, sauber angebracht.
Schwarze Schrift. Keine Schnörkel.

FÜR DIE, DIE ALLES HABEN.

Der Sohn lachte.
Kurz. Trocken.
„Cringe“, sagte er.

Der Vater nahm das Schild ab.
Er riss es nicht.
Er war zu kontrolliert für Wut.
Er legte es auf den Tisch, als würde er es damit entmachten.

„Ein PR-Stunt“, sagte er.
So konnte er es klein machen.
So konnte er es einordnen.

„Oder ein Fan“, sagte die Mutter.
Sie mochte das Wort. Es klang nach Bedeutung.

Das Mädchen sagte nichts.
Sie sah den Baum an.
Sie sah das Paket.
Und dann sah sie, ohne es zu begründen, die Glasfront.
Dahinter das Tal.
Dahinter die Lichter des Dorfes.
Dahinter Menschen, die heute Abend nicht beheizt waren.

„Machen wir es auf“, sagte die Mutter.

„Später“, sagte der Vater.
Er wollte den Moment besitzen.
Er wollte bestimmen, wann Überraschung stattfinden darf.

Der Sohn ging zurück aufs Sofa.
Er schrieb jemandem: Wir haben ein riesiges Geschenk bekommen. LOL.
Er bekam sofort Reaktionen.
Er fühlte sich kurz existierend.

Der Vater nahm sein Telefon.
Er scrollte durch Zahlen.
Er mochte die Welt, wenn sie sich in Spalten verhielt.

„Du arbeitest?“ fragte die Mutter.
Sie sagte es, als würde sie ihm eine kleine Schwäche erlauben.

„Es ist nichts“, sagte er.
Er log nicht. Für ihn war Arbeit keine Tätigkeit. Es war ein Zustand.

Das Mädchen ging in die Küche und nahm ein Glas Wasser.
Sie trank langsam.
Sie war nicht nervös.
Sie sammelte Eindrücke, wie andere Schmuck.

Dann klingelte es wieder.

Und wieder nicht an der Tür.

Die Konsole gab denselben Ton von sich.
Neutral. Unbestechlich.

Das Mädchen ging zurück, drückte auf „Kamera“.

Wieder kein Gesicht.
Wieder ein Paket.

Diesmal kleiner.
Quadratisch.
Schnee lag darauf wie ein Beweis, der vergessen wurde.

„Jetzt wird es lächerlich“, sagte der Vater.

„Oder spannend“, sagte die Mutter.

Der Sohn stand wieder auf.
„Das kann man posten“, sagte er.
Er war plötzlich wach.
Weil Aufmerksamkeit ein Blutdruckmittel ist.

Der Vater öffnete die Tür erneut.

Kalte Luft.
Und wieder niemand.

Das Paket stand da, als wäre es schon immer Teil des Hauses gewesen.

Der Vater nahm es.
Seine Finger berührten kurz das Band.
Er zuckte kaum sichtbar.
Als hätte das Material einen kleinen Widerstand geleistet.

„Bring es rein“, sagte die Mutter, obwohl es direkt vor ihm war.
Sie war gern im Kommando, wenn es nichts kostete.

Er trug es hinein und stellte es neben das große Paket.

Eine Karte war auch diesmal dabei.

FÜR DIE, DIE NIE GENUG HABEN.

Die Mutter hob eine Augenbraue.
„Wie poetisch“, sagte sie.
Sie sagte es nicht abwertend.
Sie sagte es wie jemand, der sich für Kultur hält.

Der Vater sah sich um.
Nicht aus Angst.
Aus Misstrauen.

„Ruf die Security“, sagte er.

„Die ist doch…“ begann die Mutter.

„Ruf sie“, sagte er.
Jetzt war es kein Vorschlag mehr.
Jetzt war es ein Urteil.

Die Mutter nahm ihr Telefon.
Sie wählte.
Wartete.
Sah zu, wie ihr Gesicht kurz ungeduldig wurde.

„Mailbox“, sagte sie.

Der Vater nickte.
Als hätte er das erwartet.
Als würde es in sein Bild passen: Andere sind unzuverlässig. Er nicht.

„Dann rufe ich“, sagte er.

Er wählte.
Wartete.
Sein Blick blieb hart.

Auch er bekam eine Mailbox.

Ein kleines Problem.
Nicht groß genug, um ihn zu erschüttern.
Aber groß genug, um die Oberfläche anzurauen.

Der Sohn ging näher an die Pakete.
„Vielleicht ist das so ein Escape-Room-Ding“, sagte er.
Er mochte die Idee, dass Gefahr ein Spiel sein könnte.

Das Mädchen sah ihn an.
Ein Blick wie eine Klinge, die nicht benutzt werden muss, um zu schneiden.

„Mach’s auf“, sagte die Mutter zum Sohn.
Sie meinte: Du kannst riskieren. Ich kann zuschauen.

Der Vater sagte nichts.
Er ließ es geschehen.
Auch das war Kontrolle.

Der Sohn kniete sich hin, zog am Band.
Es löste sich zu leicht.
Wie bei Dingen, die wollen, dass man sie öffnet.

Er faltete das Papier auf.

Darunter: ein Karton.
Ohne Marke. Ohne Aufdruck.
Nur ein Symbol, in den Deckel geprägt.
Ein Kreis.
Darin ein Stern.
Darin ein Punkt.

„Was soll das sein?“ fragte er.

Das Mädchen beugte sich vor.
Sie roch daran.
Sie tat es, ohne darüber nachzudenken.

„Gar nichts“, sagte sie.
„Und genau das macht’s komisch.“

Der Sohn hob den Deckel.

Innen war kein Spiel.
Kein Schmuck.
Kein Geld.
Kein Gerät.

Nur etwas, das aussah wie ein Stück Kohle.
Schwarz. Matt. Schwer.

Die Mutter lachte.
Ein kurzes, beleidigtes Lachen.

„Wie witzig“, sagte sie.
Es klang nicht wie Humor. Es klang wie Kränkung.

Der Vater nahm das Stück in die Hand.
Er wog es, als würde er seinen Wert berechnen.

„Das ist keine Kohle“, sagte er.
Er sagte es sachlich.
Er mochte Sachlichkeit. Sie machte Dinge harmloser.

Das Mädchen sagte: „Leg es weg.“

Der Vater sah sie an.
Ein Augenblick, der zeigte, wie wenig Raum sie hier hatte.

„Du gibst mir keine Anweisungen“, sagte er.

Dann legte er das Stück Kohle auf den Couchtisch.

Genau dort, wo sonst der teure Dekokram lag.
Ein schwarzer Fleck in einer weißen Welt.

Schwarzes kohleähnliches Objekt als unheimliches Geschenk in Luxusvilla
Bilanz lässt sich nicht einpacken.

Das Haus blieb still.

Der Wind blieb draußen.

Und trotzdem fühlte es sich an, als hätte etwas den Raum betreten.
Nicht als Person.
Als Prinzip.

Das Mädchen trat einen Schritt zurück.

„Das ist nicht…“ begann sie.

„Quatsch“, sagte die Mutter.

„Dumm“, sagte der Sohn.

Der Vater sah auf sein Telefon.
Es hatte kein Netz.

Er blinzelte.
Ein winziger Moment Unsicherheit.
So klein, dass man ihn hätte übersehen können, wenn man ihn nicht gesucht hätte.

Dann klingelte es ein drittes Mal.

Diesmal blieb niemand sitzen.

Das Mädchen drückte auf „Kamera“.

Auf dem Bildschirm stand etwas, das vorher nicht da gewesen war.

Kein Paket.

Eine Figur.
Rot. Weiß. Groß.
Mit einem Sack über der Schulter.

Das Bild war unscharf.
Nicht wegen der Kamera.
Weil die Figur sich nicht sauber filmen ließ.

Sie stand da.
Reglos.
Als würde sie warten.

Der Vater sagte nur: „Nein.“

Nicht als Bitte.
Als Befehl an die Realität.

Die Mutter flüsterte: „Ist das…“

Der Sohn grinste.
„Das ist krank“, sagte er.
Er meinte: Das ist Content.

Das Mädchen sagte nichts.

Sie sah die Figur auf dem Bildschirm.

Und sie merkte, dass die Schadenfreude, die sie sonst so gut verstand, heute Abend nicht ihr gehört.

III. Der Vollstrecker

Der Vater öffnete die Tür nicht sofort.
Er betrachtete das Bild auf dem Monitor, als könnte er es mit Blicken entwerten.

Unheimlicher Weihnachtsmann auf Überwachungskamera vor Luxusvilla
Manche Dinge lassen sich nicht überwachen.

„Das ist irgendein Idiot“, sagte er.
Er sagte es für sich. Für die Ordnung. Für die Möbel.

Die Mutter trat näher.
Ihr Parfüm zog eine Spur aus teurem Nichts.
„Es ist Weihnachten“, sagte sie, als wäre das ein Schutzschild.

Der Sohn holte sein Handy hoch.
„Warte, ich film das“, sagte er.
Er suchte den Winkel, in dem er am coolsten wirken würde.

„Lass den Scheiß“, sagte der Vater.
Der Ton war scharf.
Nicht wegen Gefahr.
Wegen Kontrolle.

Das Mädchen sah weiter auf den Monitor.
Die Figur bewegte sich nicht.
Sie stand da wie ein Denkfehler.

„Mach auf“, sagte die Mutter.
Sie wollte das Problem im Raum haben, wo es sich dekorieren lässt.

Der Vater atmete einmal aus.
Dann öffnete er.

Kälte schlug hinein.
Nicht Winterkälte.
Mehr so: leerer Raum, in dem nichts verhandelt.

Auf der Schwelle stand der Weihnachtsmann.

Er wirkte zu groß für die Tür.
Nicht weil er breit war.
Sondern weil das Haus ihn nicht richtig messen konnte.

Roter Mantel. Weißer Rand.
Bart wie eine Ausrede.
Augen dunkel, ruhig, alt.
Keine Theatermaske. Keine Besoffenheit.
Keine Spur von diesem gemütlichen „Ho-ho-ho“.
Nur Anwesenheit.

„Kann ich Ihnen helfen?“ fragte der Vater.

Es klang nicht wie eine Frage.
Es klang wie ein Formular.

Der Weihnachtsmann sah an ihm vorbei in den Raum.
Langsam.
Wie jemand, der Inventur macht.

„Sie haben schon angefangen“, sagte er.

Die Stimme war tief, aber nicht laut.
Sie füllte den Flur trotzdem, als wäre sie Bestandteil der Architektur.

„Was soll das?“ fragte die Mutter.
Sie lächelte dabei.
Ihr Lächeln war eine Waffe, die nur gegen Schwächere funktionierte.

Der Weihnachtsmann sah sie an.
Ein kurzer Blick.
Genug, um ihre ganze Show zu durchschauen.

„Sie haben es schön hier“, sagte er.
Neutral.
Wie ein Gutachter.

Unheimlicher Weihnachtsmann steht ruhig in moderner Luxusvilla
Er liefert. Mehr nicht.

„Verpissen Sie sich“, sagte der Sohn.
Er sagte es, weil er glaubte, dass Unverschämtheit immer nach oben treten darf.

Der Vater drehte sich halb zu ihm.
„Halt’s Maul“, sagte er.
Der Sohn war kein Sohn in diesem Moment.
Er war ein Risiko.

Das Mädchen stand in der Kücheingangsnische.
Nicht versteckt.
Nur nicht im Zentrum.
Sie betrachtete den Mann im Kostüm, ohne zu blinzeln.

„Wer sind Sie?“ fragte sie.

Der Weihnachtsmann sah zu ihr.
Sein Blick blieb einen Tick länger hängen.
Nicht freundlich.
Nicht grausam.
Eher: registrierend.

„Jemand, der liefert“, sagte er.

Der Vater trat einen Schritt näher.
Er war groß.
Er war gewohnt, dass Menschen automatisch zurückweichen.

Der Weihnachtsmann wich nicht.

„Hören Sie“, sagte der Vater, „Sie sind auf Privatgrundstück. Sie werden jetzt gehen. Sofort.“

Der Weihnachtsmann nickte leicht.
Als würde er einen Wunsch verstehen.

„Ja“, sagte er.
„Das werden Sie auch.“

Der Vater lachte kurz.
Ein einzelnes, hartes Geräusch.

„Sehr witzig“, sagte er.
Er hob die Hand und deutete auf das große Paket unterm Baum.
„Ist das Ihr Ding? Ist das Kunst? Ist das irgendein politischer Mist?“

Der Weihnachtsmann ging an ihm vorbei.

Nicht schnell.
Nicht aggressiv.
So, als hätte er dafür bezahlt.

Er trat ins Wohnzimmer.
Der Teppich schluckte seine Schritte, aber das war nicht der Grund.
Die Stille um ihn war anders.
Dichter.
Als hätte jemand die Luft neu gemischt.

Die Mutter folgte ihm automatisch.
Sie folgte immer dem, was Aufmerksamkeit versprach.

Der Sohn hielt das Handy hoch, trotz Verbot.
Er zoomte.
Sein Gesicht glänzte kurz vor Aufregung.

Der Vater schloss die Tür.
Nicht um den Weihnachtsmann einzusperren.
Um die Welt draußen zu lassen.

„Setzen Sie sich“, sagte die Mutter.
Sie zeigte auf einen Sessel, der aussah wie ein Thron für Menschen ohne Gedanken.

Der Weihnachtsmann setzte sich nicht.

Er ging zum Couchtisch.
Dort lag das schwarze Stück, das keine Kohle war.

Er nahm es in die Hand.
Langsam.
Wie man etwas anfasst, das man selbst hergestellt hat.

Der Vater machte einen Schritt nach vorn.
„Legen Sie das hin“, sagte er.

Der Weihnachtsmann legte es nicht hin.

„Das ist für Sie“, sagte er zum Vater.
„Es ist schwer, nicht wahr?“

Der Vater antwortete nicht.
Er wollte nicht spielen.

Der Weihnachtsmann drehte das Stück zwischen den Fingern.
Es gab kein Geräusch.
Es schluckte Licht.

„Was ist das?“ fragte die Mutter, ungeduldig.

„Bilanz“, sagte der Weihnachtsmann.

Die Mutter blinzelte.
Als hätte jemand ein Wort benutzt, das nicht auf ihren Lippen existierte.

Der Sohn lachte.
„Cringe“, sagte er wieder.
Aber diesmal klang es dünn.

Der Weihnachtsmann stellte das Stück zurück auf den Tisch.
Ganz genau.
Als würde er eine Figur auf ein Schachbrett setzen.

Dann blickte er zum Baum.
Zu den Paketen.
Zu dem großen, roten, schweren Ding.

„Und das da?“ fragte er, mehr zu sich selbst.

Der Vater sagte: „Das ist nicht witzig. Sie gehen jetzt.“

Der Weihnachtsmann ging zum Baum.
Er kniete nicht.
Er beugte sich nicht einmal richtig.
Der Raum schien sich für ihn zu senken.

Er legte die Hand auf das große Paket.

Und für einen Moment war es, als würde das Haus die Luft anhalten.

Die Scheiben an der Glasfront bekamen feine Linien.
Nicht Risse.
Eher: eine Erinnerung daran, dass Glas nur so lange stark ist, wie man es glaubt.

Feine Risse in Glaswand einer modernen Luxusvilla
Statik ist ehrlicher als Moral.

„Hören Sie auf“, sagte die Mutter.
Ihr Ton hatte plötzlich Angst, aber sie hasste Angst.
Sie versteckte sie in Empörung.

Der Vater griff nach dem Arm des Weihnachtsmanns.

Er berührte den Stoff.

Und zog die Hand zurück, als hätte er sich an einer kalten Herdplatte verbrannt.
Kein Schmerz.
Eher: ein Reflex, den er nicht kontrollieren konnte.

„Was zum…“ begann er.

Der Weihnachtsmann sah ihn an.
„Sie haben immer geglaubt“, sagte er, „dass Gesetze für alle gelten. Aber nicht gleich.“

Der Vater presste die Lippen zusammen.
Er war ein Mann, der sich für Gesetz hielt.

„Raus“, sagte er.

Der Weihnachtsmann nickte wieder.
„Ja“, sagte er.
„Raus.“

Er zog am Band des großen Pakets.

Das Band löste sich.
Zu leicht.
Wie bei Dingen, die warten.

Das Papier fiel auf den Boden.
Nicht flatternd.
Schwer.
Als wäre es nass.

Darunter war kein Karton.

Darunter war eine glatte, dunkle Oberfläche.
Metall.
Oder etwas, das Metall nachspielt.

In der Mitte war wieder dieses Symbol.
Kreis. Stern. Punkt.

Der Sohn hielt das Handy noch höher.
„Alter“, sagte er.
Seine Stimme war plötzlich klein.

Das Mädchen trat einen Schritt zurück.
Instinkt.
Nicht Panik.
Mehr: Selbsterhaltung, bevor sie peinlich wird.

Der Weihnachtsmann legte die Hand auf das Symbol.

Die Lichter im Raum flackerten.
Einmal.
Dann zweimal.
Dann blieb alles an.
Aber anders.
Zu hell. Zu sauber.
Wie in einem Operationssaal.

„Das ist mein Haus“, sagte der Vater.
Er sagte es wie ein Gebet.

Der Weihnachtsmann antwortete nicht.

Irgendwo im Gebäude klickte etwas.
Nicht ein Schalter.
Eher ein Mechanismus, der sich entscheidet.

Die Heizung verstummte.
Die Klimaanlage auch.
Das Haus wurde stiller, als es technisch sein dürfte.

Die Mutter nahm ihr Telefon.
Kein Netz.
Sie drückte auf dem Display herum, als könnte sie sich Verbindung erarbeiten.

Der Vater ging zur Konsole an der Wand, rief erneut Security.
Mailbox.
Er rief Polizei.
Kein Freizeichen.
Nur Stille.

„Das ist illegal“, sagte er.
Das Wort klang lächerlich in dem Licht.

Der Weihnachtsmann sagte: „Sie haben das Wort immer geliebt.“

Der Sohn flüsterte: „Das ist ein Prank, oder?“
Er sprach zu niemandem.
Er sprach zur Hoffnung.

Das Mädchen betrachtete die Glasfront.
Die Linien darauf waren jetzt deutlicher.
Nicht wie Risse.
Wie Karten von Spannungen.

„Was passiert hier?“ fragte die Mutter.
Jetzt klang sie nicht mehr groß.
Jetzt klang sie wie jemand, der zum ersten Mal merkt, dass die Welt nicht für sie gebaut ist.

Der Weihnachtsmann stand auf.
Sehr ruhig.
Als wäre der schwierigste Teil erledigt.

„Ein Geschenk“, sagte er.

„Welches?“ fragte der Vater.

Der Weihnachtsmann sah ihn an.
Dann sah er den Raum an.
Dann die Decke.
Dann den Boden.

„Gleichgewicht“, sagte er.

Und dann kam das Geräusch.

Kein Knall.
Kein Crash.

Ein tiefes, langsames Stöhnen, als würde das Haus innerlich nachgeben.
Als würde etwas im Fundament feststellen, dass es keinen Grund mehr gibt, hier zu tragen.

Die Mutter schlug die Hand vor den Mund.
Der Sohn senkte das Handy.
Das Mädchen hielt den Blick auf die Glasfront, weil sie sich zwingen wollte, nicht zu reagieren.

Der Vater stand mitten im Raum.
Sein Gesicht blieb hart.
Aber seine Augen suchten plötzlich nach etwas, das er nie kaufen konnte.

Einen Ausweg.

Der Weihnachtsmann sagte: „Sie wollten immer, dass die Welt sich anpasst.“

Das Stöhnen wurde lauter.
Nicht schneller.
Nur unaufhaltsamer.

„Jetzt“, sagte er, „passt sie sich an.“

Dann ging er zur Tür.

Der Vater rief: „Bleiben Sie!“

Der Weihnachtsmann blieb nicht.

Er öffnete die Tür.
Kalte Luft.
Schnee.
Nichts weiter.

Er trat hinaus.
Die Dunkelheit schluckte ihn sofort, als wäre er nie da gewesen.

Die Tür fiel ins Schloss.

Und das Haus begann, sich nach innen zu erinnern.

IV. Der Zusammenbruch

Zuerst war es der Boden.

Nicht sichtbar.
Nicht dramatisch.
Nur ein Gefühl, als hätte jemand die Logik minimal verschoben.

Der Vater spürte es als Erster.
Nicht, weil er sensibel war.
Sondern weil Kontrolle ein Sensor ist.

„Bewegung“, sagte er.
Er meinte: Ich verliere sie.

Der Boden senkte sich nicht.
Er entschied sich neu.

Ein leises Knacken zog sich durch den Raum.
Nicht Holz.
Kein Bruch.
Mehr wie das Geräusch von etwas, das seine Meinung ändert.

Die Glasfront antwortete.
Feine Linien wurden dicker.
Nicht reißend.
Verdichtend.

Das Haus zog sich zusammen.

„Das ist ein Erdbeben“, sagte die Mutter.
Sie sagte es, weil Naturkatastrophen niemandem gehören.
Man kann ihnen nichts vorwerfen.

„Nein“, sagte der Vater.
Er sah zur Decke.
„Das ist das Haus.“

Die Lichter flackerten nicht mehr.
Sie wurden gleichmäßig heller.
Zu hell.
Farben verloren Tiefe.
Gold wurde gelb.
Weiß wurde leer.

Der Sohn stolperte, als der Boden unter dem Sofa leicht kippte.
Nicht viel.
Genug, um ihn lächerlich wirken zu lassen.

„Scheiße“, sagte er.
Kein Slang.
Kein Stil.
Einfach Angst.

Er griff wieder nach seinem Handy.
Tot.
Schwarz.
Kein Spiegel mehr.

Das Mädchen stand reglos.
Sie hatte aufgehört, Eindrücke zu sammeln.
Jetzt zählte sie Schritte.
Abstände.
Zeit.

Die Mutter rannte zur Glasfront.
„Das darf nicht“, sagte sie.
Sie legte die Hand an die Scheibe.
Sie war warm.
Zu warm.

„Nicht anfassen!“ rief der Vater.
Zu spät.

Ein leises Ping.
Ein einzelner Ton.
Dann zog sich ein Riss unter ihrer Handfläche durch das Glas.
Nicht schnell.
Wie eine Ader.

Sie zog die Hand zurück.
Ihre Haut war unversehrt.
Das Glas nicht.

Der Vater lief zur Treppe.
„Nach oben“, sagte er.
Befehle waren das Einzige, was er noch hatte.

Die Treppe bewegte sich nicht.
Sie war dafür gebaut.
Aber die Wand daneben kam näher.

Nicht sichtbar.
Messbar.

Der Raum wurde kleiner.

„Was passiert mit dem Haus?“ fragte der Sohn.
Er klang jünger als er war.
Endlich altersgerecht.

Das Mädchen antwortete ruhig:
„Es zieht sich zusammen.“

Die Mutter lachte hysterisch.
„Hör auf“, sagte sie.
„Hör einfach auf.“

Niemand wusste, wen sie meinte.

Ein tiefer Ton durchlief die Struktur.
Nicht laut.
Eher: überall.

Die Decke senkte sich um wenige Zentimeter.
Genug, dass man es merkte.
Zu wenig, um zu fliehen.

Der Vater zog an der Haustür.
Sie ließ sich öffnen.
Aber dahinter war nichts mehr, was er verstand.

Der Vorplatz hatte sich verändert.
Der Schnee lag nicht mehr flach.
Er stand schief.
Als wäre auch draußen die Geometrie beleidigt.

„Raus!“ schrie er.

Er rannte.
Die Mutter hinterher.
Der Sohn stolpernd.
Das Mädchen zuletzt.

Sie kamen bis zur Schwelle.

Dann stoppte das Haus.

Nicht aus Gnade.
Aus Berechnung.

Die Tür verzog sich.
Nicht zu.
Schief.

Der Vater stemmte sich dagegen.
Seine Hände rutschten.
Der Griff fühlte sich plötzlich falsch an.
Zu weich.

„Hilfe!“ schrie die Mutter.
Das Wort klang nackt.

Das Mädchen sah zurück ins Wohnzimmer.
Der Baum stand noch.
Schief.
Die Kugeln berührten sich jetzt.
Ein leises Klirren.
Wie Zähne.

Der Sohn schrie ihren Namen.
Zum ersten Mal.

Dann ging alles schneller.

Der Boden sackte nicht ab.
Er zog nach innen.

Die Wände kamen näher.
Nicht fallend.
Faltend.

Möbel kippten, ohne zu stürzen.
Sie rutschten in eine neue Ordnung.

Der Couchtisch brach nicht.
Er verschwand zwischen zwei sich nähernden Flächen.

Der Vater verlor den Halt.
Er fiel nicht.
Er wurde verschoben.

Sein Kopf schlug gegen die Wand.
Kein Blut.
Nur Stille.

Die Mutter schrie nicht mehr.
Sie hatte keinen Platz dafür.

Der Sohn lag auf dem Boden.
Der Raum über ihm wurde niedriger.
Er versuchte, sich klein zu machen.
Zum ersten Mal sinnvoll.

Das Mädchen stand noch.
Ein Wunder.
Oder ein Fehler.

Sie sah, wie die Glasfront nachgab.
Nicht nach außen.
Nach innen.

Die Scheiben zerbröselten nicht.
Sie zermahlten sich selbst.
Staub.
Glitzernder Staub.

Der Raum füllte sich damit.
Atem wurde schwer.

Der Vater versuchte zu sprechen.
Kein Ton kam.
Sein Mund bewegte sich.
Ohne Wirkung.

Das Haus hatte entschieden, dass Sprache überflüssig ist.

Die Decke senkte sich weiter.
Langsam.
Unaufhaltsam.

Der Sohn weinte.
Nicht schön.
Nicht filmisch.
Einfach Geräusch.

Die Mutter versuchte, sich an etwas festzuhalten.
Ihre Hand fand nichts, was nicht gleichzeitig verschwand.

Das Mädchen schloss kurz die Augen.
Nicht aus Hoffnung.
Aus Kontrolle.

Dann öffnete sie sie wieder.

Der Raum war jetzt nur noch ein Rest.
Ein Kern.
Alles Überflüssige war weg.

Ein letzter Druck.
Ein inneres Nachgeben.

Kein Knall.

Das Haus implodierte.

Nach außen passierte fast nichts.

Ein leiser Luftzug.
Ein kurzes Zittern im Boden.
Dann Stille.

Wo eben noch eine Villa gestanden hatte,
war jetzt eine Senke.
Sauber.
Unauffällig.

Der Schnee begann langsam, sie zu füllen.

Im Tal gingen Lichter an.
Jemand schaute kurz nach oben.
Sah nichts Besonderes.

Weihnachten blieb Weihnachten.

Und irgendwo, sehr weit weg,
legte jemand einen Sack ab,
der jetzt leer war.

V. Danach

Am Morgen war der Schnee frisch.

Leere Senke im Schnee nach mysteriösem Verschwinden einer Villa
Nach außen kaum sichtbar.

Er lag ruhig über der Senke, als hätte er etwas zugedeckt, das man nicht mehr sehen wollte.
Keine Trümmer.
Kein Rauch.
Keine Geschichte, die man sofort weitererzählen konnte.

Ein Polizeiwagen kam gegen neun Uhr.
Nicht mit Sirene.
Nicht dringend.
Weihnachten verzeiht Verzögerungen.

Zwei Beamte stiegen aus.
Sie standen kurz da und sahen auf den Hügel.
Auf den Ort, an dem laut Plan eine Villa hätte stehen müssen.

„Sind wir hier richtig?“ fragte der Jüngere.

Der Ältere sah auf sein Tablet.
Koordinaten.
Grundbuch.
Versicherungssumme.

„Ja“, sagte er.
„Hier.“

Sie gingen näher heran.
Der Schnee knirschte.
Unter der weißen Schicht war nichts Festes.
Nur Erde.
Verdichtet.

„Gasexplosion?“ fragte der Jüngere.

Der Ältere zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht.“

Sie sagten das Wort, weil es praktisch war.
Es hatte schon viele Dinge erklärt, die niemand erklären wollte.

Ein Gutachter kam.
Später.
Mit Thermoskanne und sachlicher Miene.

Er maß.
Er bohrte.
Er schrieb.

„Implosion“, sagte er irgendwann.
Er sagte es leise.
Wie ein Geständnis.

„Das gibt es so nicht“, sagte der Jüngere.

Der Gutachter nickte.
„Genau.“

Im Dorf sprach man am Nachmittag darüber.
In der Bäckerei.
Beim Metzger.
Zwischen zwei höflichen Sätzen.

„Hast du gehört?“
„Ja.“
„Schon schlimm.“
„Ja.“

Niemand sagte verdient.
Aber es lag zwischen den Worten wie Zucker, den man nicht umrührt.

Am Abend lief ein kurzer Beitrag im Regionalfernsehen.
Eine Moderatorin mit ernstem Gesicht.
Ein Bild vom Hügel.
Eine Grafik.
Ein Satz.

„Die Ursache ist noch unklar.“

Das genügte.

Im Internet tauchten Gerüchte auf.
Sekten.
Sabotage.
Baumängel.

Jemand schrieb: Karma.
Jemand anderes antwortete: Zu früh.

Am nächsten Tag kam die Versicherung.

Sie kam pünktlich.
Sie kam vorbereitet.
Sie kam mit Fragen.

Die Antworten waren dünn.
Die Akten dick.

„Höhere Gewalt“, sagte jemand.
„Unklare Haftung“, sagte jemand anderes.

Am Ende sagte jemand:
„Wir prüfen.“

Die Prüfung dauerte nicht lange.
Es gab nichts mehr zu prüfen.

Ein leerer Ort ist schwer zu bewerten.

Die Konten der Familie wurden eingefroren.
Automatisch.
Ein Programm hatte entschieden, dass Tod ohne Leiche ein Risiko ist.

Anwälte riefen an.
Niemand ging ran.

Ein Internat schickte eine formelle Mail.
Bedauern.
Rückfragen.

Sie bekamen keine Antwort.

Die Zimmer der Kinder wurden geräumt.
Sauber.
Effizient.

Kleidung in Kisten.
Technik gelöscht.
Persönliches neutralisiert.

Ein Hausmeister sagte später, er habe sich erleichtert gefühlt.
Er sagte es nicht laut.
Er dachte es nur.

In der Senke wuchs nichts.
Auch im Frühjahr nicht.

Der Boden war fest.
Zu fest.

Ein Bauunternehmen bot an, dort etwas Neues zu errichten.
Moderner.
Nachhaltiger.
Mit Aussicht.

Die Gemeinde lehnte ab.
Nicht offiziell.
Man fand Gründe.

Irgendwann stellte jemand ein kleines Kreuz auf.
Ohne Namen.
Ohne Datum.

Es verschwand nach einer Woche.
Niemand wusste, wohin.

Im nächsten Winter lag wieder Schnee dort.
Wie immer.

Verschneite leere Landschaft als Symbol für Verlust und endgültiges Ende
Restwert: 0.

Und irgendwo, sehr weit weg,
stand ein Mann in rotem Mantel in einem Lagerhaus,
strich einen Namen von einer Liste
und machte Platz für den nächsten.

Er lächelte nicht.

Er hatte nie gelächelt.

Und wer glaubte, sich an diesem Ende wärmen zu können,
merkte zu spät,
dass Schadenfreude auch nur eine Form von Kälte ist.